Stellungnahme zu den neuen BRI



Seit dem 1.9.2006 sind die neuen Richtlinien der Spitzenverb�nde der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebed�rftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches in Kraft. Gutachter des MDK pr�fen nun neben der Pflegebed�rftigkeit auch die Prozess- und Ergebnisqualit�t der Pflege. Eine klare Verantwortung der Pflege f�r die Beurteilung der Pflegequalit�t wurde wieder nicht formuliert.

Lesen Sie unten die erste Stellungnahme des BvPP e.V. Am Ende des Textes finden Sie das Papier auch im PDF - Format zum Download.


Seit dem 1.9.2006 sind die neuen Richtlinien der Spitzenverb�nde der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebed�rftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches in Kraft. Der BvPP e.V. begr��t grunds�tzlich die Tatsache, dass die Vorgaben aktualisiertwurden. Mit der nun vorliegenden Fassung wurden einige gravierende Defizite in der Begutachtungspraxis aufgegriffen.

Die �berarbeitete Fassung pr�zisiert die Erwartungen an die Gutachter des MDK und an die von ihnen zu treffenden Angaben im Formulargutachten. Diese Entwicklung ist aus Sicht des BvPP e.V. zu begr��en, da erwartet werden kann, dass dadurch wesentliche Verbesserungen mit Blick auf Plausibilit�t und Nachvollziehbarkeit der Formulargutachten erzielt werden k�nnen.

Ausdr�cklich aufgenommen wurde der Aspekt der freiheitsentziehenden Ma�nahmen. Hier ist der Gutachter gehalten, die Notwendigkeit und den sachgerechten Umgang (Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht, besondere Sorgfaltspflicht) zu pr�fen und zu bewerten.

Der Aufbau des neuen Formulargutachtens erfordert von dem Gutachter eine systematische Befunderhebung und pr�zise Beschreibung zu Sch�digungen, Beeintr�chtigungen der Aktivit�ten und Ressourcen sowie eine Bewertung der Auswirkungen auf die unmittelbaren, verrichtungsbezogenen Aktivit�ten des Lebens. Damit wird ein wesentliches Defizit der Vergangenheit aufgegriffen. Vorf�lle, dass einzelne Gutachter sich bei dem Hausbesuch kaum mit dem Betroffenen besch�ftigen, sollten damit seltener bzw. unm�glich werden.

Entscheidungen der Gerichtsbarkeit zur Ber�cksichtigung krankheitsspezifischer Ma�nahmen wurden aufgegriffen und pr�zisiert. Bei der Bewertung des zeitlichen Aufwandes wird ausdr�cklich auf wechselnde Hilfeleistungen, die Hinzuziehung weiterer Fachgutachter sowie die Notwendigkeit aktivierender Pflege eingegangen.Der Gutachter hat bei dem Hausbesuch festzustellen, ob eine aktivierende Pflege (auch durch Pflegeeinrichtungen) durchgef�hrt wird. Sollte dies nicht der Fall sein, muss er dieses dokumentieren und entsprechende Empfehlungen abgeben.

Das Rehabilitationspotenzial ist einzusch�tzen und eine Pflegebed�rftigkeit bzw. h�here Pflegestufe zu verneinen, wenn diese durch zumutbare Leistungen der medizinischen Rehabilitation vermieden werden kann.Damit wird der Grundsatz Rehabilitation und Pr�vention vor Pflege gest�rkt und gleichzeitig auf die Mitwirkungspflicht des Betroffenen zur�ckgegriffen.

Ein besonderes Augenmerk wird auf die Begutachtung psychisch kranker und demenziell ver�nderter Menschen gelegt. Hier wird im Zweifel eine Zweitbegutachtung erforderlich. Die pr�zisen und ausf�hrlichen Ausf�hrungen stellen eine deutliche Verbesserung bei der Ber�cksichtigung dieser Krankheitsbilder in der Begutachtungspraxis dar. Sie verpflichten den Gutachter dazu, sich ein realistisches und umfassendes Bild von der tats�chlichen Situation zu verschaffen bevor er seine abschlie�ende Bewertung vornimmt und an die Pflegekasse weiterleitet.

Auch die Begutachtungssituation bei Kindern wurde pr�zisiert und �berarbeitet, so dass eine ad�quatere Einsch�tzung zu erwarten ist.

Im Rahmen der Bewertung hat der Gutachter auch festzustellen, ob pflegerische Defizite bis zu einer nicht sichergestellten Pflege vorliegen. Als pflegerische Defizite werden insbesondere aufgef�hrt:

�kachektischer und/ oder exsikkotischer Allgemeinzustand

�Dekubitalgeschw�re

�Inkontinenzmaterial, Blasenkatheter, PEG-Sonden zur Pflegeerleichterung

�unterlassene Pflegeleistung nach Einkoten und Einn�ssen

�Vernachl�ssigung der K�rperhygiene

�unterlassene Beaufsichtigung von geistig behinderten oder demenzkranken Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen

�Kontrakturen

�nicht �rztlich verordnete Sedierungen

�Hinweise auf m�gliche Gewalteinwirkung

�verschmutzte W�sche

�Vernachl�ssigung des Haushalts.

Bei pflegerischen Defiziten und gleichzeitig nicht sichergestellter Pflege hat der Gutachter der Pflegekasse Sofortma�nahmen vorzuschlagen.

Dem individuellen Pflegeplan wird in den neuen Richtlinien ein gr��erer Stellenwert einger�umt. So ist der Gutachter verpflichtet, detailliert zu Rehabilitationsm�glichkeiten, dem Einsatz von Hilfsmitteln und der Wohnraumanpassung Stellung zu nehmen. Des Weiteren hat er konkrete Vorschl�ge zur Verbesserung der Pflegesituation zu formulieren. Die Vorschl�ge k�nnen sich auf alle Aspekte der pflegerischen Situation beziehen.Bei defizit�rer Pflege sind diese darzustellen und geeignete Ma�nahmen vorzuschlagen. Unter den zus�tzlichen Empfehlungen ist auch eine therapeutische Unterversorgung aufzuzeigen. Mit dem Einverst�ndnis der Betroffenen soll der Gutachter unter Umst�nden mit dem behandelnden Arzt oder dem Therapeuten Kontakt aufnehmen. Ein w�nschens- und unterst�tzungsw�rdiger Ansatz, da Rehabilitation und Pr�vention regelm��ig an fehlenden Verordnungen scheitern. Es bleibt abzuwarten, ob und wie diese Vorgabe in der Praxis umgesetzt wird.

Die vorliegenden Richtlinien pr�zisieren Streitfragen der Vergangenheit und schaffen somit mehr Transparenz. Insbesondere die fehlerhafte Anwendung der Richtlinien bei psychisch Kranken, geistig behinderten und an Demenz leidenden Menschen und Kindern sollte durch diese Neufassung reduziert werden.

Nahezu unmerklich wurden die Richtlinien aber auch dahingehend ver�ndert, die Begutachtung nicht nur auf die Pflegebed�rftigkeit des Betroffenen abzustellen, sondern - quasi nebenbei - auch die Prozess- und Ergebnisqualit�t der Pflege zu ermitteln und zu bewerten.Aus Sicht des Verbraucherschutzes und aus Sicht der Versichertengemeinschaft ist es durchaus w�nschenswert und sinnvoll, dem sachgerechten Umgang mit Leistungen der Pflegeversicherung und der Qualit�t der pflegerischen Versorgung eine gr��ere Aufmerksamkeit zu schenken. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Aufgabe sinnvoll im Rahmen eines Gutachtens zur Feststellung der Pflegebed�rftigkeit wahrgenommen werden kann. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass damit Kapazit�tsengp�sse bei der Pr�fung der Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Qualit�tssicherung behoben werden sollen. M�glicherweise dienen die Gutachten zur Einsch�tzung der Pflegebed�rftigkeit in Zukunft den Pflegekassen als Instrument zur Veranlassung von Qualit�tspr�fungen in ambulanten und station�ren Pflegeeinrichtungen und als Grundlage f�r Regressforderungen. Die erforderliche Datenlage k�nnte mit dieser neuen Richtlinie auf jeden Fall geschaffen werden. �u�erst kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob der einzelne Gutachter des MDK vor Ort hier wirklich seri�se Arbeit leisten kann. Er soll

�Fremdbefunde detailliert auswerten und diese schriftlich w�rdigen

�eine detaillierte Befunderhebung unter Nutzung verschiedenster Instrumente und unter Hinzuziehung weiterer Fachgutachter durchf�hren

�die Befunde bewerten und die Pflegestufe ableiten

�die Durchf�hrung einer aktivierenden Pflege unter Ber�cksichtigung der Dokumentation pr�fen und bewerten

�das Rehabilitationspotential feststellen

�feststellen, ob defizit�re Pflege vorliegt

�einen detaillierten Pflegeplan zu pflegefachlichen Ma�nahmen, zur Hilfsmittelversorgung, zur Heilmittelversorgung, zur Wohnraumanpassung und zu Ma�nahmen der Rehabilitation erstellen

�selbst Sofortma�nahmen ergreifen und mit �rzten, Therapeuten, Angeh�rigen und Pflegekr�ften die Umsetzung besprechen.

Bislang stand in weiten Teilen der Bundesrepublik einem Gutachter des MDK ein Zeitkontingent von durchschnittlich einer Stunde f�r die Feststellung der Pflegebed�rftigkeit zur Verf�gung. Ver�ffentlichungen des MDS folgend betrug die durchschnittliche Zahl der Begutachtungenin der Bundesrepublik ca. 1,4 Millionen F�lle pro Jahr. In rund 83.000 F�llen wurde gegen das Ergebnis Widerspruch eingeleitet. In ca. 41.500 F�llen folgten die Zweitgutachter des MDK dem Widerspruch. Angaben, in wie vielen der verbleibenden 41.500 F�lle eine Korrektur des Begutachtungsergebnisses durch die Sozialgerichtsbarkeit vorgenommen wurde, fehlen. Wenn also bislang bei der alleinigen Beurteilung der Pflegebed�rftigkeit bereits eine Fehlerquote von rund 3% zu verzeichnen war, erscheint es mehr als unwahrscheinlich, dass mit dem nun formulierten Anforderungsprofil unter den bestehenden Rahmenbedingungen eine zuverl�ssige Begutachtungspraxis mit einer akzeptablen Fehlerquote von unter einem Prozent realistisch ist.

Ebenfalls kritisch ist die Auswahl der Gutachter zu hinterfragen. Nimmt man die formulierten Anforderungen in der aktuellen Fassung der Richtlinien ernst, ist der Einsatz von Medizinern vor Ort zur Begutachtung auszuschlie�en, da ein berufsfremder Gutachter keine sachverst�ndige Bewertung von Pflege, Pflegedefiziten und daraus resultierenden Korrekturma�nahmen durchf�hren kann. Hier ist ein gravierender Mangel in der aktuellen Fassung der Richtlinien festzustellen. Die Ausf�hrungen sind schwammig und widerspr�chlich.Eine klare Zuordnung von Aufgaben und Kompetenzen wurde nicht vorgenommen. Die eindeutige Festlegung der Verantwortung wurde - bewusst? - vermieden. Stattdessen wird von einer engen gemeinsamen Verantwortung gesprochen mit einzelnen Schwerpunktaufgaben. So ist es Aufgabe der Pflegefachkraft, den Pflegeplan zu erstellen. Gleichzeitig hat diese aber m�glicherweise den Hausbesuch gar nicht durchgef�hrt, kennt weder den Menschen noch die Situation. Ergo soll die Pflegefachkraft vom gr�nen Tisch aus, basierend auf den Erinnerungen und Wahrnehmungen ihres medizinischen Kollegen, den individuellen Hilfebedarf ableiten und die Pflegesituation bewerten, d.h. auch unter Umst�nden defizit�re Pflege feststellen. Hier ist strukturell vorgegeben, dass eine seri�se Begutachtung in vielen F�llen nicht durchgef�hrt werden kann und damit zwingend eine sachgerechte Anwendung der Richtlinien be(ver)hindert wird.

Der BvPP e.V. fordert die verantwortlichen Entscheidungstr�ger auf, die aktuelle Fassung der Richtlinien an dieser Stelle zu �berarbeiten und die Verantwortlichkeit der Pflegefachkraft f�r die Begutachtung und das Ergebnis klar zu benennen. Ein alleiniger Einsatz von Medizinern vor Ort zur Begutachtung ist nicht zu akzeptieren. Es ist richtig und sinnvoll, einen Mediziner als Fachgutachter konsultierend zu medizinischen Fragestellungen hinzuzuziehen, jedoch kann dieser niemals die Pflegesituation und die fachgerechte Durchf�hrung der Pflege sachverst�ndig beurteilen. Der BvPP e.V. wird Antragsteller, Angeh�rige und Tr�ger von Pflegeeinrichtungen dahingehend beraten, eine Begutachtung durch berufsfremde Gutachter abzulehnen und Bescheide, die auf Gutachten berufsfremder Gutachter beruhen, anzufechten.

Der BvPP e.V. fordert dar�ber hinaus die Verantwortlichen des MDS auf, ad�quate Rahmenbedingungen f�r die Durchf�hrung einer seri�sen Begutachtung festzulegen und transparent zu machen. Das aktuell vorliegende Anforderungsprofil bedeutet eine Reduzierung der Begutachtungsf�lle pro Gutachter um mindestens 50%.



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