Beurteilung der Pflegesituation durch einen Pflegesachverst�ndigen


Petition �109 SGG

Am 13.12.2007 beschlo� der Deutsche Bundestag das Petitionsverfahren abzuschlie�en.

Wesentliche Gr�nde f�r ein Nicht-T�tigwerden:

  • � 109 SGG ist eine Ausnahmevorschrift. In der Regel greift der Amtsermittlungsgrundsatz. In pflegerelevanten Sachverhalten k�nnen Richter bereits nach �� 103, 106 SGG verpflichtet sein, einen Pflegesachverst�ndigen gutachtlich zu h�ren.
  • Die Akzeptanz des � 109 SGG beruhe darauf, dass eine klar abgegrenzte Berufsgruppe, deren Berufsaus�bung objektivierbaren Standards unterliege, angeh�rt werde.
  • Der Beruf des Pflegesachverst�ndigen sei gesetzlich nicht geregelt, insbesondere fehle es an einer Pflegekammer, die �ber gemeinsame Standards der Berufsaus�bung, sowie der Fort - und Weiterbildung wache. Daher sei bereits eine genaue Definition pflegefachlicher Kompetenz schwierig.
  • Als Ergebnis berge eine �nderung des � 109 SGG daher die Gefahr einer Ausdehnung auf alle im Pflegebereich t�tigen Personen. Eine Situation, die f�r die Sozialgerichte prozessual nicht mehr handhabbar sei.

Der BvPP e.V. sieht in dieser Entscheidung eine Best�tigung der Verbandsaktivit�ten und eine Herausforderung an zuk�nftige Verbandsma�nahmen gleicherma�en.

Best�tigt wird die Entscheidung des BvPP e.V. durch klare Standards die Berufsaus�bung des Pflegesachverst�ndigen objektivierbar zu machen. Der BvPP e.V. hat hierzu bereits 2001 einen Ehrenkodex verabschiedet und einen professionellen Standard durch die Sachverst�ndigenordnung geschaffen. Ein weiterer Schritt zur Messung pflegefachlicher Kompetenz wurde mit der Einf�hrung des Anerkennungsverfahrens durch den BvPP e.V. eingeleitet. Die Regelung einer kontinuierlichen Fortbildung wird ein weiterer Schritt in die Professionalisierung des Berufsbilds Pflegesachverst�ndiger sein.

Eine Herausforderung f�r den BvPP e.V. wird darin liegen, die bereits implementierten Standards und Regelungen auf politischer Ebene und unter den Berufsaus�benden bekannt zu machen und fl�chendeckend im deutschen Sachverst�ndigenwesen zu verankern. Dar�ber hinaus gilt es, die Instrumente weiter zu entwickeln und letztlich pflegefachliche Kompetenz messbar und damit objektivierbar und somit definierbar zu machen.


Beurteilung der Pflegesituation durch einen Pflegesachverst�ndigen

von Maria Penzlien

Pflegesachverst�ndige, Gr�ndungsmitglied des BvPP e.V., Leiterin der Arbeitsgruppe Lobbyarbeit im BvPP e.V.

Mit der Einreichung seiner Petition am 16. Februar 2007 m�chte Herr Gunnar Wendt erreichen, dass zur Beurteilung einer Pflegesituation nicht ein Arzt, sondern ein Pflegesachverst�ndiger gutachterlich geh�rt wird. Er begr�ndet dies damit, das ein Arzt nicht �ber die notwendige Ausbildung verf�gt um die Pflege und die pflegerischen Bereiche beurteilen zu k�nnen. Die Ausbildung eines Arztes umfasst nach seiner Anschauung zu Beginn der medizinischen Ausbildung (Studium) nur ein zeitlich sehr eingeschr�nktes Pflegepraktikum. Durch den Abschluss des Medizinstudiums erlangt der Mediziner die Berufsbezeichnung des Arztes, jedoch nicht den Berufsstand einer Krankenschwester / Krankenpfleger. Hieraus ergibt sich, dass ein alleiniger Einsatz von Medizinern zur Begutachtung auszuschlie�en ist, da ein berufsfremder Gutachter keine sachverst�ndige Bewertung von Pflege und Pflegedefiziten durchf�hren kann. Des weiteren bemerkt Herr Wende, dass es richtig und sinnvoll sei, einen Mediziner als Fremdgutachter konsultierend zu medizinischen Fragestellungen hinzuzuziehen, jedoch kann dieser niemals die Pflegesituation und die fachgerechte Durchf�hrung der Pflege sachverst�ndig beurteilen.�
Auch der Bundesverband der unabh�ngigen Pflegesachverst�ndiger und Pflegeberaterinnen e.V. (Bvpp) der Vertreter der Berufgruppe hat am 28.2.2007 die �ffentliche Petition unterst�tzt (www.bvpp.org). Die Sachverst�ndigenordnung des Bundesverbandes, in der das Wesen des Sachverst�ndigen in der Pflege dargelegt wird, tritt am 1.April 2007 in Kraft. Der BvPP e.V. m�chte mit der vorliegenden Sachverst�ndigenordnung eine Richtschnur f�r seine Mitglieder und f�r die interessierte �ffentlichkeit darlegen. Ziel ist es, ein professionelles Sachverst�ndigenwesen f�r Pflegesachverst�ndige zu etablieren. Die vorliegende Sachverst�ndigenordnung des BvPP e.V. leistet hierzu einen qualifizierten Baustein. Ihre Entwicklung erfolgte in Anlehnung an die g�ltigen Sachverst�ndigenordnungen der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern und sichert somit eine Einbindung der Pflegesachverst�ndigen in das Sachverst�ndigenwesen der Bundesrepublik Deutschland.
Das �ISP� �Institut f�r Sachverst�ndige in der Pflege� ist nun der Frage nach gegangen: �Warum sollte es so wichtig sein, dass nur Pflegefachkr�fte die Pflegebed�rftigkeit i.S. des SGB XI feststellen? Was w�re aus fachlicher Sicht, die f�r die �ffentlichkeit nachvollziehbaren Begr�ndungen. Das �ISP� will zur Aufkl�rung beitragen.
Zur allgemeinen Qualifikation von Pflegesachverst�ndigen ist die Grundvoraussetzung die Ausbildung und Berufspraxis zu betrachten. Zu deren Qualifikation wird damit festgeschrieben: Die Sachverst�ndigen m�ssen �die Erlaubnis zur F�hrung der Berufsbezeichnung Altenpflegerin oder Altenpfleger, Krankenschwester oder Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester oder Kinderkrankenpfleger� vorweisen k�nnen. Das bedeutet, dass die entsprechende Person ein Wissensprofil besitzen muss, wie es in der Ausbildung zur Pflegefachkraft erworben wird: z.B. als Altenpflegerin in den Bereichen Anatomie, Ern�hrungslehre, Ethik, Geragogik, Krankheitslehre, Pflege, Politik, Psychologie, Sozial- und Rechtskunde, Soziologie, etc. Ein so erworbenes Wissen muss sich ferner durch eine mindestens f�nfj�hrige Berufspraxis in der Pflege haben bew�hren k�nnen. Pflegesachverst�ndige m�ssen ��ber eine praktische Berufserfahrung von wenigstens f�nf Jahren in dem erlernten Pflegeberuf verf�gen�. Die Erf�llung dieser Bedingung kann aber allein noch keinen Pflegesachverst�ndigen hervorbringen. Der Bvpp fordert schlie�lich von den unabh�ngigen Sachverst�ndigen zur Aufrechterhaltung ihrer Qualifikation eine regelm��ige Fort- und Weiterbildung.
Wir greifen noch einmal die Forderung der Praxiserfahrung f�r unabh�ngige Pflegesachverst�ndige auf. Was bedeutet die Berufserfahrung der Sachverst�ndigen im einzelnen, und was n�tzt die Praxiserfahrung, die sie als Pflegefachkr�fte bei der Feststellung der Pflegebed�rftigkeit selber nachweisen m�ssen, um kompetent pr�fen zu k�nnen? Gem�� den genannten Voraussetzungen handelt es sich um folgende Kompetenzen:
Pflegesachverst�ndige kennen das Berufsfeld der Pflege mit seinen Berufsbildern, sind gepr�gt von der Berufsethik der F�rsorge und Verantwortung f�r die zu Betreuenden. Sie wurden mit den rechtlichen und arbeitsrechtlichen Grundlagen in ihrer Arbeit konfrontiert. Sie erlebten die Lebenssituationen in der Pflege mit ihrer Tagesgestaltung und verschiedenen Organisationsformen. Auch die wechselnden �konomischen Bedingungen und die immer wieder neu von Kultur und Religion gepr�gten Situationen der Pflegebed�rftigen sind ihnen vertraut.
Unabh�ngige Pflegesachverst�ndige haben sich als Pflegefachkr�fte, die sie sind, auf soziale Wahr- und Selbstwahrnehmung sensibilisiert. Sie lernten den Umgang mit Gef�hlen wie Ekel, Scham, �ngsten, �rger kennen und sich in wechselnde und menschlich schwierige Situationen einzuf�hlen. Sie wissen um die Kommunikations- und Beziehungsprozesse zwischen Pflegekraft und pflegebed�rftigen Menschen.
Eine Person, die die Funktion eines Pflegesachverst�ndigen aus�bt, hat au�erdem gelernt, im pflegerischen Handeln die Pflegequalit�t mit den wissenschaftlichen Methoden der Bobachtung, der Einsch�tzung des Pflegebedarfs, dem Planen und Durchf�hren der Pflege und dem Evaluieren der Pflege zu erheben. Dazu dient ihr die Pflegeproze�dokumentation.
Zusammengefasst: bedeuten die genannten Voraussetzungen, dass unabh�ngige Sachverst�ndige nicht nur �ber fachspezifisches, sondern auch pflegewissenschaftliches Wissen verf�gt. Gem�� der Sachverst�ndigenordnung �7 des Bvpp richtet der Sachverst�ndige sein fachliches Interesse an der Struktur des aktuellen Pflegewissens aus. Dieses beinhaltet:
- Das Metaparadigma, es benennt den Geltungsbereich (Person, Umwelt, Gesundheit und Pflege),
- Die Pflegephilosophie, sie enth�lt ethische Aussagen �ber das gew�nschte Verhalten der Mitarbeiter in der Pflege, �ber das Wesen des Menschen, die Ziele der Pflege sowie �ber die Entwicklung des fachlichen Wissens. Aussagen �ber die Weltbilder.
- Die konzeptuellen Modelle in der Pflegewissenschaft, sie sind vom Metaparadigma abgeleitet und bieten einen Orientierungsrahmen und ein vereinheitliches Denken �ber Erfahrungen und Entwicklung in der Pflege. Dem Sachverst�ndigen bieten sie au�erdem eine Ausrichtung dar�ber, wie sie die Pflegeph�nomene beurteilen sollen. Dar�ber hinaus bieten konzeptuelle Modelle in der Pflege extra philosophische und pragmatische Information f�r die Pflege.
- Die Pflegetheorien, sie bestehen aus typischen Begriffen und Angaben, die bestimmte Ph�nomene ber�cksichtigen und in einen organisierten Kontext stellen.
- Empirische Indikatoren, der Sachverst�ndige ber�cksichtigt diese bei seiner Arbeit, z.B. Instrumente, ausprobierte Befunde und Verfahren, mit deren Hilfe sich die Begriffe einer Theorie vergleichen lassen.
- Die Pflegeforschung, zum weiteren Wissensgebiet eines Sachverst�ndigen geh�rt auch die Beobachtung und Einbeziehung von Pflegeforschung, Pflegeausbildung, Pflegeadministration und klinische Praxis (vgl. Fawcett, Seite17-49).
Im Rahmen einer unver�ffentlichten Forschungsarbeit zur Qualit�t von Pflegegutachten (Neufeld, 2003) wurde neben der Qualit�t von Pflegegutachten gleichfalls nach dezidierten Kriterien geforscht, inwieweit sich �rztliche von pflegefachlichen Gutachten unterscheiden.
Im Ergebnis konnte festgestellt werden, das bei den �rztlichen Gutachten insbesondere die Erhebung der Sch�digungen und F�higkeitsst�rungen im St�tz- und Bewegungsapparat, sowie im Bereich der inneren Organe �berwiegend dezidiert dargestellt wurde. Die Unf�higkeit der Erhebungsf�higkeit kristallisierte sich dann insbesondere im Bereich der Kognition, insbesondere bei an Demenz erkranktem Menschen. Die Darstellungen spiegelten hier keinesfalls den pflegerischen Aspekt. Deutlich wurden die Defizite in der Erstellung des Pflegeplanes und auch in der Pflegezeitbemessung.
Im Rahmen der Erhebung wurden Akten im Sozialgerichtsverfahren analysiert. In jeder Akte befanden sich in der Regel mindestens drei Gutachten zur Beurteilung des Pflegebedarfs. Wobei konstant ein bis zwei Gutachten von �rzten erstellt wurden, so dass eine gute Vergleichbarkeit gew�hrleistet war.
Folgendes Beispiel soll eine solche Diskrepanz verdeutlichen:
Eine an Demenz erkrankte Frau wurde in einem Fall von zwei �rzten und zwei Pflegefachkr�ften beurteilt. Dabei stellten die �rzte fest, das diese Frau einige Bewegungsst�rungen aufwies, sowie eine leichte Vergesslichkeit. Sie beurteilten, dass diese Frau aufgrund von Bewegungseinschr�nkungen Hilfe bei der R�cken- und Unterk�rperw�sche ben�tige, sowie Hilfe beim Kleiden des Unterk�rpers, Transfer in und aus der Badewanne. Mithilfe wurde festgestellt bei der mundgerechten Nahrungszubereitung, ohne hierzu Sch�digungen zu schildern. Ein weiterer Hilfebedarf wurde nicht ermittelt. Ein Hilfebedarf aufgrund dementieller Entwicklung fehlte. Insgesamt wurde ein zeitlicher Bedarf von 23 bzw. 24 Minuten festgestellt. Die pflegefachlichen Gutachten waren hier deutlich anders strukturiert. So bestand bei den Pflegekr�ften Einigkeit �ber das Bestehen einer Demenz mit deutlichen Auswirkungen auf den grundpflegerischen Hilfebedarf. Es wurde u.a. ermittelt, das diese Frau aus Eigenantrieb keine K�rperpflege durchf�hrt, Kleidung nicht entsprechend der Witterung ausgew�hlt wird. Keine ausreichende Nahrungs- und Fl�ssigkeitszufuhr gew�hrleistet war. Im weiteren wurde ein Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf festgestellt. Die Gutachter ermittelten einen zeitlichen Pflegeaufwand von 42 bis 79 Minuten. Demzufolge bestand keine Einigkeit �ber den Zeitbedarf im engeren Sinne. Ausschlaggebend war hier das ad�quate feststellen des Bedarfs.
Zahlreiche weitere Beispiele liegen der Erhebung vor. Im Ergebnis zeigten die �rztlichen Gutachter deutliche Unterschiede in der Bedarfserhebung von Pflege und deren zeitlichen Beurteilung. Diese Schwierigkeit ist sicherlich urs�chlich in der beruflichen Ausbildung zu begr�nden.
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis:
Transfer ist das Umsetzen eines Patienten von einer Sitzposition in eine andere. Pflegepersonen geben Unterst�tzung, damit Pflegebed�rftige z.B. vom Bett in den Rollstuhl und umgekehrt gelangen. Es gibt unterschiedliche Transfers. Dazu braucht es praktische Erfahrungen, dieses haben die �rzte weder in der Praxis noch in ihrem Medizinstudium erlernt. Bei unterst�tzenden pflegerischen Handlings wie z.B. beim Transfer, Begleitung des Bewegungseingeschr�nkten (insbesondere gel�hmte Kranke) oder allgemein beim Bewegen des Pflegebed�rftigen m�ssen folgende Prinzipien beachtet werden:
- Welcher K�rperabschnitt muss stabilisiert werden, damit andere K�rperabschnitte mobil werden?
- Wie m�ssen die K�rperabschnitte zueinandergestellt werden?
- Wo muss ggf. die Unterst�tzungsfl�che ver�ndert werden?
Zu unterst�tzen sind dabei Patienten mit aktiven Bewegungsm�glichkeiten und solche mit wenig Rumpfstabilit�t beim Bewegen innerhalb des Bettes, beim Hochkommen zum Sitzen, Transfer, Hineinlegen ins Bett, Aktivierende Positionen und Integration der Bewegungs�berg�nge bei den ATL1. Handlings in der Bewegungsf�rderung bauen sich immer so auf, dass analog einer normalen Bewegung erst die Unterst�tzung f�r eine Stabilit�t durchgef�hrt werden und danach die Hilfe f�r Mobilit�t stattfindet. (vgl. Dammh�user 2005, Seite 89-161). Mit dem Wissen der Prinzipien der Bewegungsf�rderung wird generell jede unterst�tzende Bewegung erleichtert. Dies ist im Sinne der aktivierenden und menschenw�rdigen Pflege selbstverst�ndlich.
�rzte haben weder umfassendes Pflegewissen noch das Praxiswissen �ber Bewegungsf�rderung nach neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen und k�nnen deshalb auch nicht den daf�r erforderlichen Zeitaufwand ad�quat im Sinn des � 14 Abs. 4. Nr.3 SGB XI erheben, was f�r den Pflegebed�rftigen nachteilig ist und zu sehr vielen Widerspr�chen bis zur Sozialklage f�hren kann, dies geht nat�rlich zu Lasten der Gesellschaft und der Beitragszahler der Kassen.
Institut f�r Sachverst�ndige in der Pflege
Maria Penzlien
Am Ree 13
22459 Hamburg
www.isp-Hamburg.de